Barrierestörung des Darms

Auch wenn der genaue Ursachenmix aus Genetik und Umwelteinflüssen bei der Krankheitsentstehung noch nicht bekannt ist, als sicher gilt heute, dass ein "Barrieredefekt" mit ursächlich ist: Eine Störung der Darmschleimhaut, die aufgrund eines Mangels an körpereigenen Antibiotika auftritt (da gibt es noch konkurrierende Modelle oder besser: für Untertypen der Erkrankung einander ergänzende). Die Barrierestörung ermöglicht es Bakterien, in Bereiche der Darmwand vorzudringen, die sie bei intakter Barriere nicht erreichen können. Dort werden sie dann - ob Krankheitserreger oder nicht - als Aggressoren wahrgenommen. Mit der entsprechenden Antwort des Immunsystems. Schon seit mehreren Jahren haben Prof. Dr. Eduard F. Stange und Prof. Dr. Jan Wehkamp, der 2006 den Ludwig-Demling-Forschungspreis der DCCV erhielt, vom Robert-Bosch-Krankenhaus bzw. Universitätsklinikum Tübingen, diesen Mangel an körpereigenen Antibiotika für den Dünndarm-Crohn postuliert: Hier herrscht ein Mangel an sogenannten "Defensinen" (im Dickdarm haben sie einen Mangel an "Mucinen" festgestellt). Forscher*innen um Dr. Lora V. Hooper vom Southwestern Medical Center der University of Texas in Dallas berichteten 2011 von einer ähnlichen Rolle von "Lektinen" bei der Konstitution der Darmbarriere.

Dementsprechend geht die moderne Wissenschaft heute davon aus, dass es sich bei CED nicht um Autoimmunerkrankungen handelt, also die Zellen des Immunsystems nicht auf körpereigene Strukturen reagieren und diese angreifen (auto- = griechische Vorsilbe für „Selbst“). Bei CED sind die ständig im Darminnenraum vorhandenen Mikroorganismen das Angriffsziel der Immunzellen. Stattdessen bezeichnet man CED nun als immunvermittelten inflammatorischen Erkrankungen (IMID) und betont damit den entzündlichen Dauerprozess der Erkrankung und nicht das, worauf das Immunsystem reagiert. Diese neue Einordnung ist wichtig, da dies maßgeblich die Forschungsrichtung bei der Suche nach neuen Behandlungsmethoden beeinflusst und sich nicht nur auf die Einschränkung des Immunsystems (Immunsuppression) allein bezieht. Eine klassische Autoimmunerkrankung wäre zum Beispiel Diabetes mellitus Typ 1, bei dem sich die Immunzellen gegen die Insulin produzierenden Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse richten und diese zerstören. In diesem Fall werden Teile des „Selbst“, also des eigenen Körpers, angegriffen, sodass der Begriff Autoimmunerkrankung hier eine Berechtigung hat.

Entzündungszellen wirken auf die Darmbarriere und das Mikrobiom

Gesunde Menschen produzieren ständig hohe Mengen antimikrobieller Peptide, sogennannter "Defensine", die über Panethzellen an der Basis der Dünndarmkrypten ins Darminnere abgegeben werden. Diese Defensine (HD5/HD6) regulieren die Zusammensetzung der Darmflora und verhindern gleichzeitig, dass Mikroorganismen in die Darmschleimhaut eindringen können und eine Entzündung auslösen. Dadurch bleibt der Darm gesund und unsere Oberflächen sind geschützt (linke Abbildung).
Neu und Bestandteil einer im November 2015 in PNAS veröffentlichten Arbeit von L. F. Courth u.a. ist, dass sogenannte "Monozyten" aus dem Knochenmark (blaue Zellen, siehe Zeichnung) Signalstoffe (sogenannte "Wnt-Liganden") freisetzen (blaue Punkte, siehe Zeichnung), die für die Aufrechterhaltung dieser antimikrobiellen Barrierefunktion mit verantwortlich sind.
Es gibt eine Kommunikation zwischen knochenmarkabstammenden Blutzellen (Monozyten) und der Oberflächenzellschicht (Panethzelle: rot, an der Kryptenbasis, siehe Zeichnung), die antimikrobielle Defensine ins Darminnere abgibt (rote Granula, siehe Zeichnung). Morbus Crohn-Patienten zeichnen sich durch eine verminderte Produktion dieser Panethzelldefensine aus. Dadurch ist nicht nur die direkte Verteidigung der Darmschleimhaut gegen Mikroorganismen eingeschränkt, sondern die antimikrobielle Funktion des gesamten Dünndarms, wodurch es zu einer Veränderung der Zusammensetzung des Mikrobioms kommt. (Ähnliches beschreibt die Gruppe um R. A. Flavell im Dezember 2015 in Cell für IL-18, Becher- (engl. Goblet-) Zellen und die Colitis ulcerosa.) 1)

Neu ist die Erkenntnis, dass die Monozyten (blau, siehe Zeichnung) von Patienten mit Morbus Crohn in ihrer Fähigkeit die antimikrobielle Funktion anzuregen, eingeschränkt sind und die Bildung von Defensinen nicht stimulieren können. Ursache scheint die verminderte Produktion verschiedener Stammzell-Differenzierungsfaktoren zu sein, die die Produktion von Defensinen beeinflussen (blaue Punkte, siehe Zeichnung).

1. Für Forschungen, dass eine ungünstige Verschiebung der Bakteriengemeinschaft im Darm (Mikrobiota) die Darmentzündung verursacht und die Paneth-Zellen in ihrer Funktion erst nach dem Einsetzen der entzündlichen Veränderungen beeinträchtigt waren, ist der Hans Adolf Krebs-Preis 2017 der Bonner DGE Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. an Dr. Monika Schaubeck, Max-Planck-Institut für Neurobiologie (MPIN) in Martinsried, verliehen worden.

Nachweise:

  • PM UKT vom 26.10.2015, Abbildung aus Courth et al. PNAS 2015.
  • Schaubeck M, Clavel T, Calasan J, et al. Dysbiotic gut microbiota causes transmissible Crohn's disease-like ileitis independent of failure in antimicrobial defence. Gut 2016;65:225-237.
  • (dge). DGE verleiht Hans Adolf Krebs-Preis 2017. Presseinformation: Presse, DGE intern 4/2017 vom 03. März. URL: www.dge.de/presse/pm/dge-verleiht-hans-adolf-krebs-preis-2017/

Phosphatidylcholin (Lecithin) bei Colitis ulcerosa

Am Heidelberger Universitätsklinikum, wo eine Gruppe um Prof. Dr. Wolfgang Stremmel mit der Erforschung des Phosphatidylcholin (Lecithin) für die Therapie der Colitis ulcerosa begonnen hatte, entwickelte Dr. Annika Braun ein Verfahren, um die Zusammensetzung der Schleimschicht der Darmschleimhaut zu untersuchen. Das Ergebnis: Die Konzentration von Phosphatidylcholin, welches den Schleim an die Schleimhaut bindet und somit zur Entstehung dieser Schleimbarriere beiträgt, im Darmschleim waren bei Colitis ulcerosa deutlich niedriger als bei Gesunden und Morbus-Crohn-Patienten. Die Forscher nehmen daher an, dass der Mangel an Phosphatidylcholin ursächlich an der Entstehung der Colitis ulcerosa beteiligt ist: Es kommt zu einer verminderten „Fettschutzschicht“, daher können die wässrigen Bestandteile aus dem Darminhalt inklusive darin enthaltener Bakterien, Fremdkörper und Giftstoffe in direkten Kontakt zur Darmwand treten, das führt zur Reaktionen des Immunsystems: es kommt zur Entzündung. Mehr zum Thema "Lecithin"...

Defensin-Defekte bei Morbus Crohn

Dr. Jan Wehkamp, Dr. Klaus Fellermann, Bauchredner 1/2006

Die zentrale Rolle der Bakterienabwehr: Defensin-Defekte bei Morbus Crohn. Neueste Daten und Auswirkungen auf zukünftige Therapieansätze

Defensine sind körpereigene Antibiotika. Im Magen-Darm-Trakt regulieren Defensine die Zusammensetzung und Zahl der dort siedelnden Bakterien, Pilze, Viren und Protozoen, schützen den Körper aber auch vor der eigenen Darmflora, den üblichen „Bewohnern“ des menschlichen Darms. Im gesunden Zustand ist die Beziehung des Körpers mit der normalen Mikroflora für den Darm und Körper von Vorteil und gewinnbringend, aber die gleichen „normalen“ Bakterien spielen eine entscheidende Rolle im Krankheitsprozess von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.

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Therapie der Ursache oder der Wirkung?

Priv.-Doz. Dr. med. Jan Wehkamp, Prof. Dr. Eduard Friedrich Stange, Bauchredner 4/2013

Therapieziel: Therapie der Barrierestörung – gibt es da schon was?

Mittlerweile ist deutlich, dass die Entzündung bei den CED Folge einer defekten Immunbarriere ist. Die meisten vorhandenen Therapiekonzepte bemühen sich, die Entzündung zur unterdrücken. Aber es gibt auch schon Möglichkeiten, die Krankheit „kausal“ zu behandeln, die Barriere des Darmes gegenüber Bakterien zu stärken...

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Quellen/Links:

Crohn's disease-derived monocytes fail to induce Paneth cell defensins
Lioba F. Courth, Maureen J. Ostaff, Daniela Mailänder-Sánchez, Nisar P. Malek, Eduard F. Stange, and Jan Wehkamp
PNAS 2015 112 (45) 14000-14005; published ahead of print October 28, 2015, doi:10.1073/pnas.1510084112
http://www.pnas.org/content/112/45/14000

Erstmals nachgewiesen: Monozyten des angeborenen Immunsystems regulieren Darmbarriere
Publiziert in Proceedings der National Academy of Science U.S.A. - Erkenntnisse liefern wichtige Daten für das Verständnis von Morbus Crohn
Universitätsklinikum Tübingen, Pressemeldungen, 26.10.2015
https://www.medizin.uni-tuebingen.de/Presse_Aktuell/Pressemeldungen/2015_10_26-port-10443-p-157525.html

Knochenmark steuert Darmentzündung: Neues Verständnis von Morbus Crohn.
(Redaktion / Moderation: Ulrike Till) Moderatorin im Gespräch mit Prof. Jan Wehkamp, Uniklinik Tübingen
SWR2 Campus | 13.11.2015 | 08:30 Min. | Quelle: SWR
http://www.ardmediathek.de/radio/SWR2-Campus/Knochenmark-steuert-Darmentz%C3%BCndung-Neue/SWR2/Audio-Podcast?documentId=31639158&bcastId=3064

Epithelial IL-18 Equilibrium Controls Barrier Function in Colitis
Roni Nowarski, Ruaidhrí Jackson, Nicola Gagliani, Marcel R. de Zoete, Noah W. Palm, Will Bailis, Jun Siong Low, Christian C.D. Harman, Morven Graham, Eran Elinav, Richard A. Flavell,
Cell, Volume 163, Issue 6, 3 December 2015, Pages 1444–1456
http://www.cell.com/cell/abstract/S0092-8674(15)01428-2


Erstellt: 30.07.2014 Letzte Änderung: 02.12.2022

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